Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zum Entwurf des IQWiG „Allgemeine Methoden - Entwurf für Version 7.0“ vom 28.02.2022

Berlin, 28.02.2022 · Die AWMF wurde am 26.01.2023 um eine Stellungnahme zu dem oben genannten Entwurf gebeten. Die AWMF hat ihrerseits ihre Mitgliedsfachgesellschaften gebeten, bei Bedarf eine eigene Stellungnahme zu verfassen. Die bis einschließlich 26.02.2023 bei der AWMF eingegangenen 3 Stellungnahmen von insgesamt 6 Fachgesellschaften sind der Stellungnahme der AWMF als Anlage beigefügt (s. Anlage 1).  Diese äußern sich auch zu weiteren Aspekten, die wir neben der vorliegenden Stellungnahme der AWMF ebenfalls zu berücksichtigen bitten.

Stellungnahme zu allgemeinen Aspekten  

Die AWMF begrüßt -wie auch schon in früheren Stellungnahmen betont- die regelmäßige Überarbeitung der „Allgemeinen Methoden“ des IQWiG, da hierdurch aktuellen methodischen Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene Rechnung getragen werden kann. 

Die für den aktuellen, umfassend überarbeiteten Entwurf des Methodenpapiers gesetzte Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ist allerdings mit 4 Wochen für ein so umfassendes (266 Seiten) und bedeutendes Werk zu kurz. Dies spiegelt sich wider in einer vergleichsweise geringen Beteiligung der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften an der Möglichkeit zur Kommentierung.  Wir bitten, künftig eine Frist zur Stellungnahme - wie bereits früher angemahnt - von mindestens 6 Wochen einzuräumen.

Zudem regen wir an, in künftigen Methodenberichten das Ziel der internationalen Vereinheitlichung der Methoden und dabei insbesondere den Grad der Ausrichtung des IQWiG an der Methodik der GRADE (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation)-Arbeitsgruppe sowie die Aktivitäten des IQWiG in Bezug auf das Schaffen eines digitalen Evidenz-Ökosystems zu adressieren.

Stellungnahme zu spezifischen Aspekten  

Kapitel 1.3. Evidenzbasierte Medizin

Die AWMF begrüßt die neue Strukturierung dieses Kapitels mit Einordnung der Arbeit des Instituts in die evidenzbasierte Gesundheitsversorgung und klaren Erläuterungen. In Bezug auf die grundlegenden Strategien der EbM (Abschnitt 1.3.3, S.7) wird das Bekenntnis zur Identifikation und Zusammenfassung „aller bezüglich der Qualität ihres Designs und ihrer Durchführung angemessenen Studien“ deutlicher hervorgehoben. Dabei ist es wichtig, Angemessenheit im Sinne der „bestverfügbaren“ Evidenz zu verstehen. Es besteht eine zunehmende Notwendigkeit, die Methodendiskussion zu erweitern- nicht nur um diagnostische und qualitative Fragestellungen, sondern auch in Bezug auf  Registerstudien als eine besondere Form von Beobachtungsstudien oder sogar randomisierte Studien inklusive der kritischen Bewertung von digitalen Studiendesigns. Der Umgang mit digitalen -auch „in vitro trials“- bezeichneten Studien auf Grundlage elektronischer Patientendaten sollte in einer nächsten Version des Methodenreports adressiert werden.

Kapitel 1.4, Gesundheitsökonomie

Im Methodenreport ist das Ziel der Kosten-Nutzenbewertung festgehalten: „ökonomische Informationen als Zusatz zur Nutzenbewertung insbesondere für die Preisverhandlungen im Sinne einer Informationssynthese zusammenzufassen.“ Die explizite Empfehlung eines angemessenen Preises steht jedoch nicht im Fokus. Hier wäre eine größere Transparenz des Dialogs zwischen IQWiG als Informationsgeber und G-BA als Entscheidungsträger wünschenswert, um Erstattungsentscheidungen nachvollziehbarer zu machen (siehe auch Stellungnahmen der DGIM, GMDS und IBS-DER).

Kapitel 2, Produkte des Instituts

Die AWMF begrüßt die Möglichkeit der Stellungnahme und die durch das Institut etablierte Würdigung derselben. Zu kritisieren sind Ausnahmeregelungen (Rapid Reports, Potenzialbewertungen) welche aufgrund von Zeitdruck auf das Institut bestehen. Insgesamt ist aus Sicht der AWMF für alle Produkte des IQWiG die strukturierte Einbeziehung des Sachverstands von Vertretenden der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften sowie von Vertretenden der Patientenorganisationen unverzichtbar. Wir verweisen dazu auf die grundsätzliche Stellungnahme der AWMF und die aktuelle Stellungnahme der DGIM.

Vor dem Hintergrund der europaweiten Vereinheitlichung von Health Technology Assessments (HTA) wäre zu prüfen, wie sich die Produkte des IQWiG hier einordnen lassen. Der AWMF ist bewusst, dass durch die Europäisierung Stellungnahmemöglichkeiten zu Produkten des IQWiG im Bereich HTA weiter eingeschränkt werden könnten. Die Umbenennung des Produkts „HTA-Bericht“ in ThemenCheck-Bericht als nationales Produkt wird daher sehr begrüßt. Die AWMF wünscht sich darüber hinaus, in engem Dialog mit dem IQWiG den Einbezug der Expertise ihrer Mitgliedsfachgesellschaften im europäischen Kontext zu etablieren.

Kapitel 2.1.11, Evidenzberichte für Leitlinien

Das IQWiG hat die Prozesse für das neue Produkt „Evidenzberichte“ in seiner Methodenbeschreibung konkretisiert und ist dabei der Anregung der AWMF gefolgt, den notwendigen, klinisch-methodischen Austausch zwischen Leitlinienkoordinierenden und Mitarbeitenden des IQWiG von Beginn an festzuschreiben (Seite 34, Abbildung 12).  Allerdings ist diese Kooperation für jeden Arbeitsschritt festzuschreiben. Wir weisen nochmals darauf hin, dass die Rücksprache mit den Leitlinienkoordinierenden vor der abschließenden Erstellung eines Evidenzberichts aus unserer Sicht regelhaft und nicht optional zu erfolgen hat und  für die Evaluation des jeweiligen Prozesses ein Abschlussgespräch in die Abbildung aufgenommen werden sollte. Wir möchten seitens der AWMF nochmals betonen, dass das Digitale-Versorgung-Gesetz von Themen für Leitlinien spricht, die seitens der AWMF dem BMG vorgeschlagen werden können und nicht von explizit ausgearbeiteten Fragestellungen. Der Prozess der Konkretisierung der Fragestellung gehört demzufolge – wie auch in der Abbildung korrekt dargestellt – bereits zu den Eingangsaufgaben des IQWiG für jeden Evidenzbericht.  Für die kollegiale Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden der zuständigen Abteilung Versorgung, durch die diese Konkretisierungen zusammen mit den Leitlinienkoordinierenden bislang verwirklicht werden konnten, möchten wir uns an dieser Stelle bedanken.

Kapitel 2.2.3, Gewährleistung der fachlichen Unabhängigkeit

Mit völligem Unverständnis nimmt die AWMF wahr, dass das IQWiG in seinem aktuellen Methodenreport die international in den letzten Jahren vereinheitlichten Terminologien und Prozesse zur Darlegung von Interessen und zum Umgang mit Interessenkonflikten offenbar ignoriert und stattdessen eine neue Terminologie („Darlegung von Beziehungen“) einführen will. Wir verweisen dazu auf internationale Standards und deren Umsetzung Deutschland. Die AWMF hat dazu eine Plattform zur digitalen Verwaltung von Interessenerklärungen etabliert. Zusätzlicher bürokratischer Aufwand ist nicht vermittelbar. Gern stehen wir seitens der AWMF dazu beratend zur Verfügung.

Kapitel 3, Nutzenbewertung medizinischer Interventionen

In diesem Abschnitt vermisst die AWMF ein explizites Bekenntnis zu international anerkannten Methoden. Wir halten an unserem Änderungsvorschlag für das Methodenpapier 6.0 fest und schlagen folgende Ergänzung nochmals vor:  

„Das IQWiG verwendet zur Nutzenbewertung und der Einschätzung der Stärke der Ergebnis(un)sicherheit den internationale Standard in der evidenzbasierten Medizin, wie er von der GRADE Gruppe erarbeitet wurde. Als erforderlich gesehene Abweichungen oder zusätzliche Regelungen werden begründet“.  

Dieses Vorgehen würde auch der sich immer internationaler gestaltenden Evidenzbewertung Rechnung tragen.  Eine Aktualisierung der Zitate für und ein klares Bekenntnis zur Anwendung der GRADE Methodik in Bezug auf verschiedene Fragestellungen (Diagnostik, Therapie, Prognose) halten wir für unabdingbar2,4. Zudem sollte die Berücksichtigung indirekter Evidenz unter bestimmten Voraussetzungen adressiert werden. Dies gilt ebenso für Patient*innen mit seltenen Erkrankungen. 

In Bezug auf Abschnitt 3.1.1 „Definition des patientenrelevanten medizinischen Nutzens bzw. Schadens“ verweisen wir auf die Stellungnahme der GMDS und IBS-Dr und möchten die künftige Nutzung von Core-Outcome-Sets unterstreichen.

Es ist künftig damit zu rechnen, dass Nutzenbewertungen bzw. HTA Berichte primär auf europäischer Ebene erstellt werden. Dies ist sinnvoll im Sinne der Vermeidung von Doppelarbeit. Dazu sollten explizite Ausführungen zu einer ggf. erforderlichen Methodenharmonisierung oder bereits bestehenden Methodischen Übereinstimmung der europäischen HTA Institute z.B. aufgrund gemeinsamer Erarbeitungen im europäischen HTA Netzwerk EUnetHTA ausgeführt werden.  

Während die Übertragbarkeit von Leitlinienempfehlungen im Abschnitt 5.2 kurz thematisiert wird, fehlen Ausführungen zur Übertragbarkeit für die genannten Produkte. Diese sollten ergänzt werden. 

Kapitel 5.2.2 Leitliniensynopsen

Die Definition evidenzbasierter Leitlinien ist dünn, wir empfehlen einen Nachweis der Evidenzbasierung in Form von Evidenztabellen und/oder konzisen kritischen Evidenz-Beschreibungen im Hintergrundtext der betreffenden Leitlinie.

Kapitel 7 Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen

Es wird begrüßt, dass AMSTAR II Instrument nun auch offiziell Einzug in die Methoden des IQWiG gefunden hat.

Kapitel 9.1.3 Rangordnung verschiedener Studienarten / Evidenzgrade

Hier sind Entwicklungen der GRADE-Bewertung für nicht-randomisierte Studien und deren gleiche Ausgangssetzung in Bezug auf Aussagesicherheit pro Endpunkt, wenn mit dem Bewertungsinstrument Robins-I bewertet wird, nicht berücksichtigt. Das IQWiG sollte in seinem Methodenpapier eine Einschätzung dazu abgeben.

 

Für Rückfragen stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung. 

office@awmf.org

Autorinnen und Autoren:

Dr. med. Monika Nothacker, MPH nothacker@awmf.org 
Prof. Dr. med. Ina B. Kopp kopp@awmf.org
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Henning Schliephake schliephake@awmf.org
Prof. Dr. med. Rolf-Detlef Treede treede@awmf.org

 

Anlage 1:
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
Stellungnahme der Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) und der Deutsche Region der Internationalen Biometrischen Gesellschaft (IBS-DR)
Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU)

Stellungnahme als PDF-Datei

Anlage: Stellungnahmen der Fachgesellschaften als ZIP-Datei

 

 

 

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