Systematische Recherche
Grundsätzlich empfiehlt sich aus pragmatischen Gründen ein iterativer hierarchischer Rechercheprozess. An erster Stelle wird die Suche nach aggregierter Evidenz im Sinne von systematischen Übersichtsarbeiten mit und ohne Metaanalysen als Grundlage für die eigene Leitlinie empfohlen (2).
Recherche nach systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen
Um den Aufwand bei der Recherche nach Primärstudien einzugrenzen, ist zunächst eine systematische Suche nach systematischen Übersichtsarbeiten ohne und mit Metaanalysen und HTA-Berichten sinnvoll und die Prüfung, ob die Fragestellungen mit den erzielten Ergebnissen beantwortet werden können, auch im Hinblick auf die erforderliche Aktualität. Eine Prüfung, ob Nutzenbewertungen des IQWiG vorliegen, ist zusätzlich zielführend, da diese Evidenzaufbereitungen spezifisch für den deutschen Kontext erstellt werden.
Recherche nach Leitlinien
Eine gezielte Recherche im AWMF-Leitlinienregister nach thematisch verwandten Leitlinien ist im Rahmen der Anmeldung eines Leitlinienprojekts immer erforderlich, um Doppelungen und ungeklärte Widersprüche in Leitlinien zu verwandten Themengebieten zu vermeiden und ermöglicht es andererseits, für bestimmte Themen auf bereits bestehende Leitlinien zu verweisen.
Um den Aufwand für eigene Recherchen einzugrenzen, ist zu überlegen, ob es zusätzlich sinnvoll ist, nach aktuellen, thematisch relevanten und methodisch hochwertigen internationalen Leitlinien zu suchen. Die Auswahl einer oder mehrerer Leitlinien als Quellleitlinie(n) richtet sich nach der inhaltlichen Angemessenheit, der Aktualität, der Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitssystem und der methodischen Qualität, die für die Leitlinien systematisch überprüft und dokumentiert wird.
Das Heranziehen von bereits vorhandenen Leitlinien entbindet die Leitliniengruppe in der Regel nicht von einer zusätzlichen (Aktualisierungs-)Recherche, um die Aktualität der eigenen Leitlinie sicherzustellen (3, 4).
Recherche nach Primärstudien
Werden Fragestellungen durch systematische Übersichtsarbeiten mit und ohne Metaanalysen oder anhand bestehender Leitlinienempfehlungen nicht ausreichend bzw. nicht ausreichend aktuell beantwortet, erfolgt die Suche auf der Ebene von Primärstudien. Hier kann zumeist durch Eingrenzungen nach den Studiendesigns der ersten Wahl für die jeweilige Fragestellung der Aufwand eingegrenzt werden (z.B. randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) zur Frage der Effektivität therapeutischer und diagnostischer Interventionen oder Kohortenstudien zur Frage der Testgüte diagnostischer Verfahren).
Recherche nach laufenden oder nicht-publizierten Studien
Ein wesentlicher Teil aller Studien und Studienergebnisse wird nicht oder mit großer zeitlicher Verzögerung veröffentlicht (>50%) (5, 6). Eine Suche in Studienregistern kann daher eine wertvolle Ergänzung bei der systematischen Suche darstellen. Sie dient dazu, nicht-publizierte Studien, zusätzliche Daten zu publizierten Studien und Studienergebnisse zu finden, sowie Kenntnis über geplante, laufende und abgebrochene Studien zu erhalten.
AWMF-Regel für das Leitlinienregister: Klassifikation S2- und S3-Leitlinien (Auszug):
Handelt es sich um eine S2e- oder S3-Leitlinie
- ist eine systematische Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege (Evidenz) zu den relevanten klinischen Fragestellungen erforderlich.
- werden zur Suche nach der Evidenz systematische Methoden angewandt, d.h. die Suchstrategie ist detailliert beschrieben mit der Auflistung der verwendeten Suchbegriffe und Quellen (elektronische bibliographische Datenbanken, Datenbanken für systematische Übersichtsarbeiten oder für Leitlinien, von Hand durchsuchte Fachzeitschriften oder Kongressberichte), Zeitraum der Literatursuche und Trefferzahlen (s. AGREE II, Kriterium 7).
Bezug zum AGREE II-Instrument
Domäne 3: Genauigkeit der Leitlinienentwicklung
Kriterium 7: Es wurde systematisch nach Evidenz gesucht.
Hilfen und Tipps
Detaillierte Hilfen zu Datenbanken sowie die Planung und Durchführung der Suchstrategie finden sich im Manual „Systematische Recherchen für Evidenzsynthesen und Leitlinien“ (7).
Datenbanken für die Recherche können u.a. sein:
- Cochrane Library (mit Teildatenbanken wie z.B. CENTRAL für kontrollierte Studien)
- Medline (via PubMed oder Ovid)
- Embase (kostenpflichtig bereits auf Abstractebene)
- Themenspezifische Datenbanken, z.B. PsycINFO der American Psychological Association (APA PsycInfo), The Cumulative Index to Nursing and Allied Health Literature (CINAHL), Physiotherapy Evidence Database (PEDro)
- Leitlinien-Datenbanken (z.B. AWMF, Guidelines International Network (G-I-N))
- Weitere Quellen
- IQWiG, ggf. weitere HTA Institute
- Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)
- Homepages deutscher/weiterer Fachgesellschaften/Organisationen (z.B. The National Institute for Health and Care Excellence, NICE)
- Studienregister, z.B. ClinicalTrials.gov der U.S. National Library of Medicine oder Deutsches Register Klinischer Studien (DRKS)
Für evidenzbasierte Leitlinien empfiehlt es sich, nach der Auswahl der Datenbanken Suchbegriffe (Medical Subject Headings (MeSH), Freitextangaben), Recherchezeitraum, Studiendesign und mögliche Einschränkungen (z.B. nur Kinder oder Erwachsene) der Suche(n) in Abstimmung mit der Steuergruppe, bzw. der/den jeweiligen Arbeitsgruppe(n) oder ggf. der gesamten LL-Gruppe (z.B. im E-Mail-Umlauf) festzulegen, um sicher zu gehen, dass alle relevanten Suchbegriffe berücksichtigt wurden.
Es sollte geprüft werden, ob eine Anpassung der Suchbegriffe an unterschiedliche Datenbanken erforderlich ist. Die Zusammenarbeit mit Informationsspezialist*innen (z.B. Bibliothekar*innen) ist empfehlenswert.
Entsprechend den im Vorfeld festgelegten Ein- und Ausschlusskriterien (siehe Auswahl der Evidenz) kann es für die Recherche hilfreich sein, sogenannte Suchfilter (logische Verknüpfung charakteristischer Schlagworte) einzusetzen.
Geprüfte Suchfilter für aggregierte Evidenz, Primärstudien und Leitlinien finden sich im Manual „Systematische Recherchen für Evidenzsynthesen und Leitlinien“ (7). Ein Beispiel für eine sehr einfache, stark eingrenzende Suche findet sich in Abb. 5.
Bei jeder Suche: Dokumentation der Suchstrategie mit Datum nicht vergessen!
Abbildung 5: Dokumentation einer spezifischen/eingrenzenden Suchstrategie in Medline via Pubmed

Literatur
- AGREE Collaboration. Appraisal of Guidelines for Research & Evaluation II - AGREE II Instrument - Deutsche Version. AGREE NEXT STEPS Consortium; 2014. Hier verfügbar als PDF-Datei (Zugriff 08.05.2023)
- McMaster University. G-I-N McMaster Guideline Development Checklist - 10. Deciding what Evidence to Include and Searching for Evidence. Verfügbar: https://cebgrade.mcmaster.ca/guidelinechecklistonline.html#Decidingtable (Zugriff 08.05.2023)
- Schünemann HJ, Wiercioch W, Brozek J, Etxeandia-Ikobaltzeta I, Mustafa RA, Manja V, et al. GRADE Evidence to Decision (EtD) frameworks for adoption, adaptation, and de novo development of trustworthy recommendations: GRADE-ADOLOPMENT. J Clin Epidemiol. 2017;81:101-10.
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Deutsches Instrument zur methodischen Leitlinien-Bewertung (DELBI). Fassung 2005/2006 + Domäne 8 - Kriterien 30 - 34 (2008).
- Schmucker C, Schell LK, Portalupi S, Oeller P, Cabrera L, Bassler D, et al. OPEN consortium. Extent of non-publication in cohorts of studies approved by research ethics committees or included in trial registries. PLoS One. 2014 Dec 23;9(12):e114023.
- Scherer RW, Meerpohl JJ, Pfeifer N, Schmucker C, Schwarzer G, von Elm E. Full publication of results initially presented in abstracts. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2018, Issue 11.
- Cochrane Deutschland Stiftung, Institut für Evidenz in der Medizin, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Freiburg, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften - Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin. Manual Systematische Recherche für Evidenzsynthesen und Leitlinien. 2.1 Auflage. (14.12.2020)