Formulierung von klinisch relevanten Fragestellungen, Priorisierung von Endpunkten

Die Formulierung von klinisch relevanten Fragestellungen zu einem frühen Zeitpunkt ist für die Planung von Recherchen unerlässlich und macht die Leitlinie durch Beschränkung auf einen sinnvollen inhaltlich bearbeitbaren Rahmen attraktiv. Dabei ist im Hinblick auf die Zielorientierung der Leitlinie – auch bei Aktualisierungen – zu entscheiden, welche Fragen bzw. Empfehlungen im Mittelpunkt stehen sollen.

Zielorientierung der Leitlinie

Die Formulierung relevanter Fragestellungen beinhaltet die Festlegung und Priorisierung von Endpunkten, die für die betroffenen Patient*innen/Bürger*innen bzw. von Personen mit gelebter Erfahrung („persons with lived experience“) und ggf. deren Angehörigen relevant sind. Diese sollten Nutzen und Schaden von Interventionen umfassen (1).

Es sollte darauf geachtet werden, unmittelbar relevante Endpunkte zu verwenden. Grundsätzlich sind individuelle patient*innenbezogene Endpunkte und populationsbasierte Endpunkte zu unterscheiden. Surrogatendpunkte sollten idealerweise validiert sein – d.h. der direkte Zusammenhang zwischen Surrogat und unmittelbar relevantem Endpunkt wurde gezeigt – oder zumindest gut begründet sein (2).

Über die in Betracht kommenden Endpunkte sollte frühzeitig, idealerweise im Rahmen des ersten Treffens der Leitliniengruppe, ein Konsens erzielt werden Zur Erhebung der Relevanz von Endpunkten kann eine Befragung der Mitglieder der Leitliniengruppe sowie der Patient*innen/Bürger*innen bzw. von Personen mit gelebter Erfahrung („persons with lived experience“) und ggf. deren Angehörigen erfolgen.

Darüber hinaus ist festzulegen, nach welcher methodischen Strategie die Fragestellungen beantwortet werden sollen. Dazu kommen in Frage:

  • Systematische Evidenzbasierung der relevanten Empfehlungen (siehe Stufenklassifikation - Kriterien S2e und S3 - und Systematische Evidenzbasierung)
  • Strukturierte Konsensfindung (siehe Stufenklassifikation - Kriterien S2k und S3 - und Strukturierte Konsensfindung). In S3-Leitlinien sollte die Entscheidung für konsensbasierte Empfehlungen begründet werden.

Stufenklassifikation

Systematische Evidenzbasierung

Strukturierte Konsensfindung

Bei der Planung einer eigenen systematischen Recherche ist es hilfreich, die klinisch relevanten Fragestellungen nach dem PICO („Patient-Intervention-Comparison-Outcome“) Schema zu präzisieren (siehe Abbildung 3), um die relevante Literatur durch eine sinnvolle Auswahl und Verknüpfung von Suchbegriffen (insbesondere in Bezug auf die Population und die Intervention) aufzufinden (3, 4). Die Präzisierung dient auch der Vorbereitung der systematischen Auswahl und Bewertung der Evidenz als Basis für die Empfehlungsformulierung (5).

AWMF-Regel für das Leitlinienregister

Keine

Bezug zum AGREE II-Instrument

Domäne 1: Geltungsbereich und Zweck

Kriterium 2: Die in der Leitlinie behandelte(n) gesundheitsrelevante(n) Frage(n) ist (sind) eindeutig beschrieben.

Hilfen und Tipps

Es ist sinnvoll, die klinisch relevanten Fragestellungen im Rahmen eines ersten Konsensustreffens der gesamten Leitliniengruppe zu diskutieren und festzulegen, um den Arbeitsrahmen für die Leitliniengruppe einzugrenzen.

Bei der Festlegung der Fragestellungen ist die Festlegung der Endpunkte von zentraler Bedeutung.

Die Endpunkte können gesammelt und anhand einer Likert-Skala priorisiert werden (7-9 kritisch für die Entscheidungsfindung, 4-6 wichtig, 1-3 weniger wichtig). (siehe Abbildung 2 und Konstituierende Treffen).

Konstituierende Treffen

Beispiele für individuelle patient*innenbezogene Endpunkte sind krankheitsspezifische Mortalität, Morbidität und Lebensqualität. Beispiele für populationsbasierte Endpunkte sind das Auftreten von Antibiotikaresistenzen sowie Klimaverträglichkeit (u.a. CO2-Bilanz) bzw. die Nachhaltigkeit (u.a. Vermeidung von Müll) von Maßnahmen.

Abbildung 2: Bewertung der Relevanz der Endpunkte (Outcomes)

GRADE-Skala

Nicht jede Fragstellung kann und muss auf eigenen systematischen Recherchen begründet werden. Zu prüfen ist zunächst, ob bereits publizierte aggregierte Evidenz - systematische Reviews oder Metaanalysen sowie ggf. Leitlinien - genutzt werden kann. Auch eine Beantwortung im Expert*innenkonsens ist bei Vorliegen eines Versorgungsproblems in begründeten Fällen möglich, insbesondere bei fehlender Evidenz bzw. wenn eine systematische Recherche nicht zielführend erscheint. (7). Gründe für die Priorisierung einer bestimmten Bearbeitungsstrategie pro Thema sollten im ersten Treffen besprochen und dokumentiert werden.

Bei der Konkretisierung der Fragestellungen nach dem PICO Schema kann es zielführend sein, auch das jeweilige Setting festzulegen. Bei nicht-interventionellen Fragestellungen (z.B. prognostischen) sind ggf. nur einzelne Elemente des PICO-Schemas anwendbar.

Abbildung 3: PICO(S)-Schema

Die suchtaugliche Frage

Eine präzise Formulierung finden (Therapie):

Beispiel einer klinisch relevanten Fragestellung:

Wie ist der Stellenwert der pharmakotherapeutischen Sekundärprävention nach akutem Schlaganfall?

Beispiel für die Präzisierung einer suchtauglichen Fragestellung nach dem PICO-Schema:

Ist bei
P = Patient*innen nach akutem Schlaganfall (ischämischer Insult)
I = das Medikament Clopidogrel
C = verglichen mit ASS (Acetylsalicylsäure)
O = wirksamer hinsichtlich der Vermeidung künftiger Schlaganfälle?
Ggf. zusätzlich:
S = in der ambulanten Versorgung.

Literatur

1.  Guyatt G, Agoritsas T, Brignardello-Petersen R, Mustafa AR, Rylance J, Foroutan F, et al. Core GRADE 1: overview of the Core GRADE approach. BMJ (Clinical research ed). 2025:e081903. Siehe auch: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40262844/ [Zugriff: 30.06.2025]

2.  Alonso A, Van der Elst W, Molenberghs G, Buyse M, Burzykowski T. On the relationship between the causal-inference and meta-analytic paradigms for the validation of surrogate endpoints. Biometrics. 2015;71(1):15-24.

3.  Wiercioch W, Nieuwlaat R, Dahm P, Iorio A, Mustafa RA, Neumann I, et al. Development and application of health outcome descriptors facilitated decision-making in the production of practice guidelines. J Clin Epidemiol. 2021;138:115-27.

4.  Schardt C, Adams MB, Owens T, Keitz S, Fontelo P. Utilization of the PICO framework to improve searching PubMed for clinical questions. BMC Med Inform Decis Mak. 2007;7:16.

5.  Cochrane Deutschland Stiftung, Institut für Evidenz in der Medizin, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften - Institut für Medizinisches Wissensmanagement, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin. Manual - Systematische Recherche für Evidenzsynthesen und Leitlinien. 2. Auflage. 2019. p. 63.

6.  McMaster University. GIN-McMaster Guideline Development Checklist. Hamilton, Ontario2014. https://macgrade.mcmaster.ca/resources/gin-mcmaster-guideline-development-checklist/gin-mcmaster-guideline-development-checklist/. [Zugriff: 31.03.2025]

7. Guyatt GH, Alonso-Coello P, Schunemann HJ, Djulbegovic B, Nothacker M, Lange S, et al. Guideline panels should seldom make good practice statements: guidance from the GRADE Working Group. J Clin Epidemiol. 2016;80:3-7. Siehe auch: https://book.gradepro.org/ [Zugriff: 21.05.2025]

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