Stellungnahme der AWMF im Rahmen der gezielten Bewertung der Verordnung 2017/746 über In-vitro-Diagnostika gemäß Art. 111 und Verordnung (EU) 2024/1860
Berlin, 21. Februar 2025 · Die AWMF ist die Dachorganisation der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland mit 184 Mitgliedsgesellschaften, darunter die wesentlichen Fachgesellschaften, die In-vitro-Diagnostik betreiben.
Laboruntersuchungen sind eine essenzielle Säule der evidenzbasierten Medizin und stellen bei weitem die häufigste technische Maßnahme in der Medizin dar. Verfügbarkeit und Qualität von Laboruntersuchungen sind konditional für einen wesentlichen Teil des ärztlichen Handelns und damit auch essenzielle Determinante der Patientensicherheit. Dem hat der EU-Gesetzgeber 2017 durch die Verordnung 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) Rechnung getragen. Hierdurch wurden die Anforderungen an Hersteller und Händler von In-vitro-Diagnostika für das Inverkehrbringen ihrer Produkte auf den EU-Markt deutlich erhöht – was angesichts der vorher gültigen Regelung (IVDD, In-vitro-Diagnostik Direktive) durchaus nachvollziehbar ist.
Nach Artikel 111 (IVDR) erfolgt nun – zeitlich vorgezogen – eine gezielte Bewertung der IVDR insbesondere im Hinblick auf Wirksamkeit, Effizienz und Verhältnismäßigkeit.
In dieser Bewertung sollten nach unserer Ansicht dringend die Regelungen im Hinblick auf die Herstellung von IVD-Artikeln in ärztlichen Laboratorien adressiert werden; hier erkennen wir signifikanten Änderungsbedarf an der IVDR.
- Art 5 der gegenwärtigen Fassung der IVDR adressiert auch IVD-Artikel, die innerhalb medizinisch-diagnostischer Laboratorien hergestellt und ausschließlich dort für die Diagnostik verwendet werden. Diese Artikel werden – definitionsgemäß - nicht auf den EU-Markt gebracht. Daher sind sie unseres Erachtens nicht als legitimer Regelungsgegenstand der IVDR gemäß Art. 1 (1) IVDR zu betrachten.
- In einer revidierten Fassung von Artikel 5 könnte zwar weiterhin klargestellt werden, dass solche In-house-Artikel nicht vermarktet werden dürfen. Wie die gesamte Durchführung von diagnostischen Verfahren einschließlich der Anwendung von IVD den jeweiligen Regelungen der Mitgliedsstaaten unterliegt, so ist nach unserer Auffassung jedoch auch die in-house Herstellung von IVD-Artikeln durch nationales Recht zu regeln und nicht auf EU-Ebene.
- In Deutschland erfolgt dies durch die Medizinproduktebetreiberverordnung in Verbindung mit der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen Rili-BÄK). Die Regelung von ärztlich verantworteten Prozessen innerhalb von diagnostischen Laboratorien – hier die Herstellung von in-house-Artikeln – durch eine EU-Verordnung steht nach unserer Auffassung im Widerspruch zu Artikel 168, Absatz 7 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, wonach die Verantwortung für die medizinische Versorgung in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten liegt.
Insbesondere Artikel 5 (5) Unterpunkt d) („Industrieprivileg“) stellt nach unserer Bewertung eine sachlich nicht zu rechtfertigende Überregulation dar.
Dort wird geregelt, dass In-house-hergestellte Produkte nur dann verwendet werden dürfen, wenn auf dem EU-Markt keine gleichwertigen, durch die Industrie bereits in Verkehr gebrachten, Produkte verfügbar sind.
Diese Konstellation ist aus zwei Gründen in der klinischen Praxis problematisch und risikobehaftet: Zum einen ist „gleichwertig“ nicht definiert, so dass grobe Unklarheit im Hinblick auf den geforderten Vergleich zwischen einem bereits verfügbaren Produkt und einem IVD, das in einem Labor hergestellt worden ist, besteht und somit ein standardisierter Vergleich anhand prädefinierter Parameter nicht möglich ist.
Zum anderen wird durch diesen Vergleich, der das bereits verfügbare Industrieprodukt zum Goldstandard erhebt, ein Paradigmenwechsel herbeigeführt, der die Frage der Anwendung des für den individuellen Patienten richtigen diagnostischen Tests nicht auf Seiten der für die Diagnostik verantwortlichen und haftenden Ärzte/innen ansiedelt, sondern der Industrie zuschreibt, die naturgemäß Marktinteressen vertritt. Dieses Privileg der Industrie, das die Auswahl des richtigen diagnostischen Tests, der therapiesteuernd für Patienten/innen ist, nicht dem verantwortlichen Arzt/der Ärztin, sondern dem Markt überlässt, widerspricht nach unserer Auffassung der ethischen und ärztlichen Verantwortung sowie Freiheit in der Wahl der jeweils am besten geeigneten Methode – in medizinischer und wirtschaftlicher Hinsicht.
Autorinnen und Autoren
Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostik